ERÖFFNUNGSREDE ZUR AUSSTELLUNG VON DR. ANGELA RAPP
Sehr geehrte Damen und Herren,
Der Titel der Ausstellung, die Sie ab heute hier in Schwaan in der Kunstmühle sehen können trägt den Titel:
Die Blaue Scheune auf Hiddensee. Günter Fink und die Malerinnen des Hiddensoer Künstlerinnenbundes.
Ich möchte mich dem Thema der Ausstellung in chronologischer Reihenfolge nähern und daher zunächst über die Malerinnen und dann über den Maler Fink sprechen.
Vorab möchte ich Ihnen kurz meine These vorstellen, warum Hiddensee zu einem besonderen Ort für Künstler war, was sich exemplarisch vor allem an den Künstlern der Blauen Scheune zeigt: Hiddensee ist eine Insel, die wie kaum ein anderer Ort Gegensätze vereinte, die eigentlich nicht vereinbar waren, und das auf allerkleinstem Raum.
Zunächst galt das für die Malerinnen von Hiddensee, die sich 1919 zum Hiddensoer Künstlerinnenbund zusammenschlossen.
Bei der Nennung des Namens drängt sich sofort eine Frage auf: warum Hiddensoer und nicht Hiddenseer Künstlerinnenbund? Die Erklärung ist einfach: Hiddensoe war damals der offizielle Name der Insel. Die Stadt Stralsund, zu deren Regierungsbezirk die Insel gehörte, wollte damit einem schon über 100 Jahre währenden Streit um die schwedische Herkunft des Inselnamens ein Ende machen– das oe steht für schwedisch Insel und Stralsund wie auch Hiddensee standen schließlich bis 1815 unter schwedischer Hoheit. Korrekt, so dachte man damals wahrscheinlich, ist also die Schreibweise mit „oe“. Durchgesetzt hat sie sich dennoch nie.
Die Malerinnen des Hiddensoer Künstlerinnenbundes kamen aus ganz Deutschland: Henni Lehmann aus Rostock bzw. Weimar, Elisabeth Büchsel und Katharina Bamberg aus Stralsund, Clara Arnheim, Dorothea Stroschein und Julie Wolfthorn aus Berlin, Elisabeth Andrae aus Dresden, Käthe Loewenthal aus Stuttgart, um nur die bekanntesten zu nennen. Ganz sicher, wer dazu gehört hat, kann man sich nicht sein, denn der Bund hat kein offizielles Mitgliederverzeichnis geführt, er taucht auch in keinem Vereinsregister auf – dort ist zu der fraglichen Zeit lediglich ein Hiddenseer Grundstücksverein geführt.
Warum hat es diese Malerinnen gerade nach Hiddensee verschlagen, an einen Ort, der damals noch viel mehr als heute nicht so einfach zu erreichen war?
Diese Frage ist berechtigt und vielleicht einfach zu beantworten: weil es dort schön ist. Aber das ist nicht alles. Schon der Stummfilmstar Asta Nielsen wusste es besser. Ich zitiere: „Die kräftige, einfache Natur, die imstande ist, alles aufzunehmen und alle Gegensätze in wunderbarer Weise zu vereinen.“
Um welche Gegensätze ging es?
Die Insel war abgeschieden, aber nicht abgelegen, sie wird als ehemalige Künstlerkolonie angesehen, war es aber dennoch nicht. In Berlin tobte der Streit um die moderne Kunst einschließlich der Rolle, die die Frauen dabei spielen sollten, aber auf der kleinen Ostseeinsel war die Kunst bereits „modern“ – vor allem wenn man damit die Rolle der Künstlerinnen meint. In vielen europäischen Künstlerkolonien wie auch Worpswede, Ahrenshoop oder Schwaan waren Künstlerinnen durchaus präsent, aber nur auf Hiddensee nahmen sie ihre Interessen wirklich selbst in die Hand und gründeten den einzigen Künstlerinnenbund aller europäischen Künstlerkolonien: den Hiddensoer Künstlerinnenbund.
Das führt natürlich zu der Frage, wie es dazu kam. An Gerhart Hauptmann lag es sicher nicht. Der hatte allerdings bereits Heimrecht auf der Insel, besuchte er doch bereits seit fast dreißig Jahren regelmäßig. Literarisch hatte er sie mittlerweile ebenfalls verarbeitet.
Im Jahr 1900 wurde Hauptmanns Komödie Schluck und Jau am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt. Der Titel des Stücks erinnert an die beiden Familiennamen Schluck und Gau. Beide sind bis heute auf Hiddensee auffällig häufig vertreten. Ansonsten hatte die Komödie allerdings nicht viel mit Hiddensee zu tun. Jedenfalls oberflächlich nicht. Schluck und Jau sind vielmehr zwei eher dummdreiste Rüganer Landstreicher. Dass dieses Stück keine Hiddensee Begeisterung ausgelöst haben wird, liegt nahe.
Auf der Flucht vor der quirligen Moderne in die Abgeschiedenheit des ländlichen Lebens befanden sich die Künstlerinnen von Hiddensee ebenfalls nicht. Es lockte dort kein Fischersdorf, in das noch nie ein Fremder seinen Fuß gesetzt hatte. Gerhart Hauptmann quengelte sogar schon, was für ein ekelhaft bekrochenes Eiland seine Insel doch geworden sei.
Hiddensee galt vielmehr bereits vor, vor allem aber in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg als Lieblingsort der großstädtischen Avantgarde. Ich zitiere nochmals Asta Nielsen: „Nirgends ist man so jung, so froh und so frei wie auf dieser schönen Insel“.
Hiddensee war daher zwar abgeschieden, aber nicht unberührt. Man fuhr im Sommer dorthin, um die Schönheit der Insel, aber gleichermaßen, um Ungezwungenheit und Freiheit zu genießen.
Um die Begeisterung für Hiddensee zu beschreiben möchte ich einen Journalisten und Maler zitieren, der 1907 über die Insel schrieb: „Der Kunst und ihren Trägern gibt Hiddensee seit vielen Jahren unendlich Wertvolles: Anregung, Schaffenskraft und Ruhe zu ehrlicher, ernster Arbeit. Denn wahrlich, Hiddensee ist eine Welt für sich. Es steht einzig da, abgeschlossen von allem anderen wie ein einsamer Mensch, wie ein Mensch, der reich ist im Wechsel seiner Stimmungen, durch den aber doch nur ein Zug der Tiefe, Größe und Innerlichkeit hindurchzieht.“
Tiefe, Größe und Innerlichkeit klingen für uns heute theatralisch. Tatsächlich waren allerdings alle Künstler, die auf die Insel kamen, ob weiblichen oder männlichen Geschlechts, immer begeistert von den Naturstimmungen und dem sehr speziellen Licht.
Aber eine Künstlerkolonie wurde die Insel dennoch nicht. Oskar Kruse, auch ein Maler, hätte dies gerne gesehen, aber seine Pläne, um seine Lietzenburg herum – wie er es nannte – „lauter kleine Häusekens“ zu bauen und an Künstler zu verkaufen, ging nicht auf. Diese nächtigten lieber in Gasthöfen – was man Ihnen, wie ich meine, auch nicht verdenken kann.
Und sie verließen die Insel im Herbst wieder. Im Winter wurde es auf der Insel nämlich äußerst ungemütlich – nass, kalt und stürmisch, die städtische Zivilisation eine Tagesreise mit der Fähre entfernt. Vom Fehlen diverser technischer Annehmlichkeiten wie etwa Strom oder gepflasterte Wege ganz zu schweigen.
So blieb auch der Hiddensoer Künstlerinnenbund ein „Sommerevent“, wie man es in die heutige Zeit übersetzen könnte. Selbst die hiddenseefanatische Elisabeth Büchsel verließ mit den aufkommenden Winterstürmen die Insel.
Nun möchte ich noch ein wenig zu einigen der Malerinnen des Bundes sagen. Ich werde an dieser Stelle aber darauf verzichten, auf das Thema „Frauenmalerei“ einzugehen. Abgesehen davon, dass es seine Tücken hat, sind in dieser Ausstellung auch nicht nur Frauen vertreten.
Aber man sollte sich nicht irreführen lassen. Insbesondere die Malerinnen, die sich in dem Bund zusammengeschlossen hatten, waren keineswegs Paria des offiziellen Kunstbetriebes.
Auch die Frage „malen Frauen anders“, damals wie heute aktuell, können Sie sich gerade in dieser Ausstellung am besten selbst beantworten – wenn man die Frage überhaupt beantworten kann, woran ich persönlich meine Zweifel habe.
Ich will vielmehr an dieser Stelle nur einige der Malerinnen vorstellen, deren Werke Sie in der Ausstellung sehen können:
Zunächst Henni Lehmann. Ohne sie hätte es diesen Frauenbund sicher nicht gegeben. Sie wurde 1862 geboren, war also 1919 schon siebenundfünfzig Jahre alt, und bekannt für ihr soziales Engagement, vor allem ihr Eintreten für die Gleichberechtigung der Frau in der Kunst. Henni Lehmann gründete den Hiddensoer Künstlerinnenbund zusammen vor allem mit Elisabeth Büchsel und Clara Arnheim. Henni Lehmann gab ihm allerdings seine künstlerische Plattform, die heutige Blaue Scheune.
Sie kaufte die stillgelegte Bäckersscheune, kalkte sie bläulich, ließ ein großes Atelierfenster einbauen und machte sie zu einer Galerie. Dort konnten die ausschließlich weiblichen Mitglieder des Hiddensoer Künstlerinnenbundes arbeiten, ausstellen und vielleicht das Wichtigste: ihre Werke verkaufen. Angeboten wurde beispielsweise eine gemeinsame Grafikmappe mit Motiven von Hiddensoe und der Waterkant.
Der Name „Blaue Scheune“ geht allerdings nicht auf den Hiddensoer Künstlerinnenbund zurück. Zu Henni Lehmanns Zeiten hieß das Haus die „Kunstscheune“.
Der Galeriedienst wurde von den Mitgliedern des Bundes selbst wahrgenommen – und war niemand anwesend, verwies ein Schild auf die Villa nebenan, bei der man sich bei Interesse melden könne. Die Villa nebenan war das Ferienhaus der Familie Lehmann.
Was verband diese Frauen, so dass sie sich zusammenschlossen? Zunächst sicherlich eine bei allen Unterschieden doch ähnliche Biographie, auch wenn dies naturgemäß noch nichts über ihre künstlerische Verbundenheit aussagt.
Die Malerin von Hiddensee ist Elisabeth Büchsel. Die Bezeichnung habe nicht ich mir nicht ausgedacht. Sie ist einem Reiseführer des Jahres 1924 entnommen. Elisabeth Büchsel ist wie die anderen eine klassische Künstlerinnenpersönlichkeit der damaligen Zeit, also des endenden 19ten und beginnenden 20. Jahrhunderts. Geboren 1867, also vor nicht ganz 150 Jahren, wollte sie schon als Kind nichts anderes als Malerin werden. Hierfür musste sie sich jedoch erst gegen ihre Eltern durchsetzen. Als traditionelle und wohlhabende Stralsunder Kaufleute empfanden sie eine Karriere in der künstlerischen Bohéme der Zeit für ihre Tochter nicht als passend. Da Elisabeth aber eigenwillig und außerdem auch noch stur war, hat sie sich erst nach Berlin und dann nach Paris abgesetzt, um dort an privaten Schulen und Akademien das Zeichnen und Malen zu lernen.
1904, nach etlichen Jahren des Lernens fühlte Elisabeth Büchsel sich endlich fertig ausgebildet und entdeckte Hiddensee für sich. Sie war damals 37 Jahre alt. Auf der Insel fand sie ihr Thema. Unbeschwerte, wie man damals sagte, kecke Kinder in den Dünen, Fischer, die trotz harter Arbeit harmonisch in und mit der Natur lebten. Manchmal auch Gäste, die ihre Sommerfrische dort verbrachten. Und natürlich immer wieder Natur- und Landschaftsstimmungen.
Wir sollten das aber nicht vorschnell mit idyllisch gleichsetzen. Denn eine Puppenstube war Hiddensee auch damals nicht.
Die Malerin Clara Arnheim lebte in Berlin. Sie stammte aus einer jüdischen gutbürgerlichen Arztfamilie und wurde 1865 geboren. Auch ihre Biographie entsprach derjenigen einer typischen weiblichen Künstlerpersönlichkeit zu dieser Zeit. Allerdings dürften ihre Eltern progressiver als diejenigen von Büchsel gewesen sein, denn es ist nicht bekannt, dass sie sich der Berufswahl ihrer Tochter jemals widersetzten. Wie es übrigens bei allen anderen Künstlerinnen, deren Werke sie hier sehen, auch der Fall war.
Clara Arnheim nahm privaten Malunterricht in Berlin und Paris. In ihrem Werk finden sich impressionistische wie symbolistische Züge. Eine Kunstkritikerin beschrieb es so. Ich zitiere: „Arnheims Herz ist an der Seeküste, beim Fischervolk. Von dort holt sie in den Ferienmonaten die Gemälde heim. Alle Betätigungen der schlichten Leute interessieren sie. Sie weiß Bewegungen und Stimmungen zu spiegeln, huldigt wie Gerhart Hauptmann einem Naturalismus, der sich auch mit der Romantik verschwistern kann.“ Allerdings wäre ich nicht so sicher, ob ich diese Bewertung in jeder Hinsicht teilen würde. Denn die Stimmung, die Arnheims Bilder ausdrücken, sind nicht wirklich romantisch. Es fehlt ihnen dafür die typische Dramatik. Sie sind auch nicht in erster Linie naturalistisch. Das Soziale eines Naturalismus ist nicht ihr Thema. Richtig ist an der zitierten Kritik jedoch, dass sich in Arnheims Werken immer Bewegung und Stimmung spiegeln.
Käthe Löwenthal ist dreizehn Jahr jünger als Arnheim, geboren 1878 ebenfalls als Kind einer jüdischen Arztfamilie. Löwenthal kann man vor allem als eine frühe Vertreterin des expressiven Realismus ansehen. Im Kern bleiben ihre Landschaften realistisch, zugleich werden sie durch Farbe und Form verfremdet. Wie in vielen Werken Arnheims findet man bei Löwenthal häufig melancholische Stimmungen. Bei ihr sind ist sie jedoch schwerer und düsterer.
Ganz anders wiederum wirken die Werke Katharina Bambergs. Sie könnte man wohl als die typischste Vertreterin einer impressionistischen Bildauffassung im Künstlerinnenbund kennzeichnen. Sie wurde 1873 in Stralsund geboren und befindet sich damit altersmäßig zwischen Arnheim, Büchsel und Löwenthal. Nordische Landschaften, die leicht und luftig daherkommen, sind ihr wichtigstes Thema.
Dann gehörte noch Elisabeth Andrae zu dem Bund. Sie ist ebenso alt wie Käthe Löwenthal. 1878 wurde sie bei Leipzig als Tochter eines Eisenbahndirektors geboren. Andrae stellte bereits 1906 in der Großen Berliner Kunstausstellung aus. Wie Bamberg ist Andrae eine ausgesprochene Landschaftsmalerin, aber mit einem anderen Stilportfolio. Manche Werke bestehen aus dicken, breit aufgetragenen Pinselstrichen, häufig in gelb und ockerfarbenen Tönen, die die Bildfläche betonen. Genauso kann man sie aber als eine Vertreterin eines magischen Realismus ansehen. Überexakt wiedergegeben, erhält das Gegenständliche hier eine unwirkliche Komponente.
Es bleibt, last but not least, Julie Wolfthorn. 1864 wurde sie in Thorn geboren, heute das polnische Torun. Sie hatte, als sie später zum Hiddensoer Künstlerinnenbund stieß, bereits eine erfolgreiche Künstlerkarriere hinter sich. Ende des 19. Jahrhunderts war sie eine bekannte Jugendstilmalerin. Wolfthorn lebte in Berlin und stellt eine Besonderheit unter den Künstlerinnen von Hiddensee dar, weil sie vor allem Porträtistin war. Moderne Frauentypen waren ihr, wenn ich das so sagen darf, Lieblingssujet. Auf Hiddensee malte sie jedoch auch Landschaften. Die Welt der Fischer war allerdings nicht ihr Thema. Wolfthorn blieb selbst auf der Insel immer eine Dame der Gesellschaft.
Wenn man jetzt abschließend das Verbindungsglied dieser Vereinigung suchen wollte, besteht es wohl in einer ähnlichen Biographie, aber auch einer spezifischen Vielfalt, die zugleich deutliche Gemeinsamkeiten aufweist.
Der Malweise der Künstlerinnen ist gemein, dass sie sich nicht von der Gegenständlichkeit verabschiedeten. Damit vertreten sie zugleich einen bestimmten Kunstbegriff. Kunst zeigt für sie eine künstlerisch transformierte Wirklichkeit. Oder um es zu pointieren: Dada ist überhaupt nicht das Ding des Hiddensoer Künstlerinnenbundes. Aber es muss ja auch nicht jedermann Dada vertreten.
Damit bin ich mit der Vorstellung der Malerinnen am Ende, – fast, denn kein Bericht über die Künstlerinnen von Hiddensee kann schließen, ohne das bereits erwähnte Zitat von Gerhart Hauptmann zu Ende zu führen: Sein Eiland Hiddensee war nämlich aus seiner Sicht nicht nur ekelhaft bekrochen geworden, schlimmer noch als das war etwas anderes, ich zitiere: „Ein dickes Weib hat eine Villa errichtet, und malt frech vor der Tür mit zwei Centnern am Leibe. Fürchterlich.“ Gemeint war Henni Lehmann.
1933 endete das freie Leben, es folgten dunkle Jahre, die jüdischen oder als jüdisch geltenden Künstlerinnen wurden verfolgt und verfemt. Henni Lehmann nahm sich das Leben, Käthe Löwenthal, Julie Wolfthorn und Clara Arnheim kamen in Konzentrationslagern ums Leben. Der Hiddensoer Künstlerinnenbund hörte auf zu existieren.
Nach dem 2. Weltkrieg begann ein neues Kapitel in der Geschichte der Kunstscheune – aus ihr wurde die „Blaue Scheune“. Der Maler Günter Fink übernahm die mittlerweile nicht mehr genutzte und vor sich hin verfallende Kunstscheune. Und auch hier kann man wieder eine typische Hiddensee-Gegensätzlichkeit ausmachen. Nur verliefen jetzt die Bruchlinien anders.
Für den Kommunismus war Kunst in erster Linie ein Propagandamittel und Hiddensee keineswegs mehr nur abgeschieden, sondern spätestens seit der Grenzschließung und dem Mauerbau Hochsicherheitszone. Nur der Blick durfte frei übers Meer schweifen, in die weite Welt, die den DDR Bürgern nicht mehr offen stand. Auf der anderen Seite war Hiddensee zu DDR-Zeiten der Sehnsuchtsort der Freiheit. Krasser kann man sich einen Gegensatz kaum vorstellen.
In diesem Spannungsfeld malte Günter Fink. Er wurde 1913 bei Dresden geboren und studierte an der dortigen Kunstgewerbeakademie. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst als freischaffender Maler in der Sächsischen Schweiz. Bereits 1949, so kann man seinem Lebenslauf entnehmen, stellte er in der jetzt „Blauen Scheune“ erstmals Aquarelle aus.
Aber es sollten noch einige Jahre vergehen, bis er das Gebäude schließlich 1955 auch käuflich erwerben konnte. Es war stark renovierungsbedürftig und es ist sicher nicht zu viel gesagt, dass ohne den unermüdlichen persönlichen und finanziellen Einsatz von Günter Fink und seiner Frau Helga die Blaue Scheune heute nicht mehr existieren würde.
Fink wohnte seit 1973 auch dort und so wurde er – anders als die Malerinnen des Bundes – ein echter Kolonist, der in der Blauen Scheune nicht nur arbeitete, sondern auch lebte.
Jetzt gab es in der Scheune wieder regelmäßig Sommerausstellungen. In ihr wurde wieder gemalt und verkauft. Bis schließlich Günter Fink im Jahr 2000 verstarb.
Günter Fink war kein Mitglied des Verbandes Bildender Künstler der DDR. Seine Kunst war unpolitisch, was in der DDR sehr schnell das Verdikt „Formalismus“ nach sich zog. Damit wurden Künstler vom offiziellen Kunstbetrieb ausgegrenzt.
Die eigentliche Idee des Sozialismus war dabei ursprünglich gar nicht so verkehrt, nämlich die Kunst ins Leben zu holen und Kunst für und mit vor allem Arbeitern zu schaffen. Der Künstler sollte Teil des „arbeitenden Kollektivs“ sein und auch die sozusagen reale Seite des Lebens kennenlernen.
In der Praxis wurde das „soll“ jedoch zu einem „muss“ mit klaren Propagandavorgaben. Der Sozialistische Realismus als Staatskunst hatte die Zukunft der Werktätigen zu verherrlichen, aber keinesfalls durfte er zu viel Wirklichkeit zeigen. Die Arbeiterklasse war heroisch darzustellen und Bilder, die dies nicht taten, sondern die Menschen in ihrer realen, harten Lebenswelt darstellten, waren äußerst suspekt. Sie hätten Anlass gegeben, an der offiziellen Staatsdoktrin zu zweifeln.
Unpolitisch wurde dabei oft mit formalistisch gleichgesetzt und das Prädikat Formalismus hieß zugleich „schlechte Kunst“, nämlich Kunst, die sich (angeblich) nur mit den Formalien Farbe und Form beschäftigte und daher – so die Doktrin – inhaltsleer sei. Es gab für solche Künstler keine öffentlichen Aufträge. Formalistisch waren allerdings Günter Finks Bilder nie. Sie blieben im Kern immer inhaltlich gegenständlich. Nur ging von ihnen eine „falsche“ Botschaft aus: Sie stehen für eine subjektive Sicht des Einzelnen und nicht die Sicht eines verordneten Kollektivs.
Ein offener Kunstmarkt existierte in der DDR kaum – und wenn man ohne öffentliche Aufträge sein Auskommen finden musste, war das außerordentlich schwierig.
Günter Fink gehörte aber auch nicht zu den zumeist jugendlichen Außenseitern, die sich als Saisonkellner auf Hiddensee verdingten. Schon das Maß an Lebenserfahrung wird zwischen ihm und ihnen gestanden haben. Daher blieb er Einzelkämpfer und in seiner Malerei zeitlebens auf sich gestellt.
Finks Malerei ist durch eine intensive Farbigkeit bestimmt und wurde schon ephemer, also flüchtig, genannt. Ich würde dies Urteil nicht ganz teilen, denn sein Werk ist gegenüber denjenigen der Künstlerinnen keineswegs flüchtiger, vielmehr offensiver und direkter. In gewisser Weise spiegeln seine Werke damit die Gegensätzlichkeit der Insel zu DDR-Zeiten. Denn trotz der allgegenwärtigen Politik spielten letztlich Natur und gefühlte Freiheit die Hauptrolle. (Auszug)
Daher wünsche ich Ihnen nun viel Freude bei Ihrem Rundgang durch die Ausstellung!